Verehrte Besucher unserer Website,

nicht nur das Klima verändert sich inzwischen markant, auch die politische und wirtschaftliche Situation wandelt sich in einem Tempo, das vielen Menschen das Fürchten lehrt. Manche sehen Europa wie schon vor dem ersten Weltkrieg vor einem neuen Abgrund. Der unübersehbare Wunsch vieler Menschen nach alten Sicherheiten und ein gewisser Überdruss an verkrusteten demokratischen Strukturen, die dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel nicht folgen wollen, hat, wie die jüngsten Wahlen des Europäischen Parlaments zuletzt eindrucksvoll zeigten, in Westeuropa wie zuvor in den USA einen politischen Rechtsruck ausgelöst. Der Freiheitsdrang der Engländer („Brexit“) dagegen resultiert aus kaum etwas anderem als einer Reminiszenz an das verlorene Empire. Doch Great Britain ist längst nicht mehr Herr über ein Weltreich. Der weitere Herrschaftsverlust durch die Abtretung von Rechten an die Europäische Union (EU) gleicht aus Sicht konservativer Briten offensichtlich einer politischen Kastrierung.

In Osteuropa hat der bereits seit längerem sichtbare Trend, national-konservative bzw. rechtspopulistische Parteien zu präferieren, eine vergleichbare, wenn auch genau umgekehrte Ursache. Dort haben die Menschen nach der Befreiung aus den Armen der Sowjetunion vor 30 Jahren zunächst die Freiheit des eigenen Seins genossen. Nach dem Schritt unter das Dach der EU beschlich die Länder dann das Gefühl, erneut unter der Kuratel einer Großmacht zu stehen, die ihnen sagt, wo es langgeht. Sie erhalten zwar reichlich Finanzhilfen aus Brüssel, möchten aber über ihre Verwendung selbst zu entscheiden. Angesichts der jungen, instabilen demokratischen Gesellschaftsstrukturen blüht hier politische Korruption noch wesentlich kräftiger als in der „Alt-EU“. Hinzu kommt, dass trotz des Geldsegens aus Brüssel das Interesse an einem gemeinsamen Europa erschreckend gering ist. So gab 2019 nur jeder dritte bis zweite Wahlberechtigte in Osteuropa bei den Wahlen für  das Europaparlament sein Votum ab. Fünf Jahre zuvor waren es noch deutlich weniger. Aber immerhin ein kleiner  Lichtblick,

Das Ziel eines gemeinsamen Europas, das im Westen des alten Kontinents seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgt worden ist und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs von neuen Hoffnungen getragen wurde, erscheint heute ferner denn je. Und die Großmächte USA, China und Russland unternehmen alles, damit Europa politisch weiterhin schwach bleibt. Wenn sich diese Situation nicht grundlegend ändert, wird  der alte Kontinent zum Spielball der Großmächte werden. Die ehemaligen Kolonialisten werden dann selbst zu Kolonien, wenn sie es denn faktisch nicht schon sind. Die Kämpfe kleiner Ländern um den Erhalt von Kultur und staatlicher Eigenständigkeit erscheinen im Zeitalter ökonomischer Globalisierung noch aussichtloser, als sie in der Vergangenheit schon waren. Erfahrung und Geschichte lehren, Großes macht Kleines platt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das müssten die Menschen in den osteuropäischen Ländern eigentlich gelernt haben. Dass ihnen wenn überhaupt nur die EU ein kulturelles Überleben sichern kann, wird geflissentlich ignoriert. Den Politikclans dieser jungen EU-Staaten sichert das jedoch reichlich Einkommen und Wohlstand. Und einmal mehr hat man den Eindruck, dass die jüngeren Generationen auch in der EU aus der Geschichte nichts oder nur wenig gelernt haben. Sie genießen die Freiheiten, die die EU ihnen garantiert, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie sehr schnell von rechts-nationalen Regierungen wieder einkassiert werden können.

Der Kampf um ein gemeinsames Europa ist aber mehr als nur ein Kampf um Selbstbehauptung, es geht auch um die politische Kultur jetziger und künftiger Generationen. In Europa, genauer in Athen, stand die Wiege der Demokratie. Sie sichert allen Bürgern, auch solchen, die Minderheiten angehören, gleiche Rechte und politische Mitbestimmung, egal welche Auffassung sie vertreten, sofern sie das System nicht infrage stellen. Demokratie erfordert daher eine gewisse Toleranz und persönlichen Einsatz. Viele Menschen gaben in der Vergangenheit ihr Leben im Kampf gegen autoritäre Regime. Der alte Kontinent hat in seiner langen Geschichte viele verschiedene, vorwiegend aber diktatorische bzw. feudalistische Herrschaftsformen durchlitten. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Demokratie „Standard“ geworden. Nur in Osteuropa und dem Balkan herrschten unter der Sowjetherrschaft noch diktatorische Kräfte, die nach dem Fall des eisernen Vorhangs zunächst geschwächt wurden. Sie haben  jedoch in anderen politischen und gesellschaftlichen Formen zuletzt wieder an Stärke gewonnen.

Dieser Trend blieb nicht auf Osteuropa beschränkt. Selbst die USA unter dem Egomanen Donald Trump ignorieren mehr und mehr demokratische Regeln. China und Russland bewegen sich „unterhalb“ davon. Die herrschenden Klassen dieser beiden Großreichen gemessen an der Zahl von Menschen bzw. Landfläche sind ganz offensichtlich der Meinung, dass sie ihre Rolle als politische und wirtschaftlichen Großmächte nur als autokratische Regime ausüben können. Solange der Großteil der Bevölkerung diese Auffassung stützt, dürfte sich daran auch nichts ändern. Für bürgerschaftlich engagierte Menschen dagegen, denen die Würde und Freiheit des Menschen wichtig und ein zentrales Anliegen sind, gibt es keine Alternative zur Demokratie und zum Modell einer politisch einheitlichen europäischen Union. Europa, will es für seine Bürger attraktiv sein, bedarf neuer, umfassender Regeln, die die Vielfalt der Kulturen in der demokratischen Einheit widerspiegeln müssen, nicht aber einer weiteren Flickschusterei. Das ist eine gewaltige Aufgabe und bedarf der Übung wie der Toleranz der großen Mehrheit der Bürger, vor allem aber einer halbwegs gleichmäßigen wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen Europas. Allzu große regionale ökonomische Differenzen sind seit jeher in der Menschheitsgeschichte ein Problem gewesen. Kriege und Migrationsbewegungen waren die Folge. Zudem bedarf Europa einer gemeinsamen Sprache, die die Menschen einander näherbringt.

Diese Website will eine Plattform sein für Zeitgenossen, die ihre Hoffnung auf ein neues, demokratisches Europa setzen. Die heutige EU ist immerhin das Ergebnis von sieben Jahrzehnten Erweiterungskompromissen. Dadurch sind über die Jahre hinweg viele Entscheidungen getroffen worden, die der EU den Weg in eine „gute Zukunft“ verbauen. Die EU und mit ihr aber auch ihre Mitgliedsstaaten benötigen daher grundlegende Reformen. So würde beispielsweise in einem geeinten Europa das deutsche System von Bundesländern in seiner heutigen, kostspieligen Form schnell verschwinden. Sie haben sich eigentlich schon überlebt, wie die zunehmende (Mit-)Finanzierung kommunaler Aufgaben durch den Bund zeigt. In einer einheitlichen EU würden sie möglicherweise regional neu strukturiert werden und nur noch spezifische kulturelle Aufgaben wahrnehmen. Das Beispiel zeigt, dass mit einer Neugestaltung der EU die Möglichkeit bestünde, zugleich auch viele alte politische Hüte in den einzelnen Ländern zu entsorgen. Nicht zu leugnen  ist dabei sicherlich, dass hier auf absehbare Zeit Osteuropa mit seinen noch wenigen Demokratieerfahrungen besondere Probleme haben wird. Schwer einzuschätzen ist unter diesem Aspekt etwa auch Italien, wo sich die Regierenden seit Jahr und Tag  die Klinke in die Hand geben, in 72 Jahren inzwischen 65 Regierungen. Die Italiener hätten einen politischen Kuraufenthalt in Brüssel jedenfalls dringend nötig.

Wer zuvor schon einmal auf dieser Website vorbeigeschaut hat, erinnert sich vielleicht noch, dass sie das Sprachrohr für den in Berlin eingetragenen Verein „Wir in Europa“ war. Dieser Verein besteht nicht mehr, er wurde Anfang 2019 aus diversen Gründen aus dem Vereinsregister gelöscht. Einige frühere Mitglieder haben sich jedoch entschieden, die Seite weiter nutzen, um für die Idee eines gemeinsamen demokratischen Europas zu werben und zu streiten. Die politischen Ereignisse der vergangenen Jahre bestärken uns darin, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Und wir hoffen, dass sich viele andere Menschen, denen das Wohl Europas auch am Herzen liegt, dadurch ermutigt fühlen, es uns gleich zu tun, sich ebenfalls Gedanken über Europa machen und sie uns in Gestalt von Manuskripten mitteilen. Künftige Generationen werden es uns und Ihnen vielleicht danken.

Arnulf Sauter